Sünde, Schuld, Scham und personale Integrität: Zur neuen Debatte um die theologische Anthropologie
«Schuld» und vor allem «Sünde» sind bekanntlich klassische Begriffe der theologischen Anthropologie. Als Negativfolien zu den für die - insbesondere protestantische – Theologie zentralen Konzepten von Rechtfertigung und Versöhnung sind sie nach weit verbreiteter Ansicht unverzichtbar. Sünde ist nach...
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Format: | Buch |
Sprache: | ger |
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Online-Zugang: | Volltext |
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Zusammenfassung: | «Schuld» und vor allem «Sünde» sind bekanntlich klassische Begriffe der theologischen Anthropologie. Als Negativfolien zu den für die - insbesondere protestantische – Theologie zentralen Konzepten von Rechtfertigung und Versöhnung sind sie nach weit verbreiteter Ansicht unverzichtbar. Sünde ist nach reformatorischer Überzeugung mangelnde (nicht nur mangelhafte!) Selbstunterscheidung von Gott. Als solche zerstört sie nicht nur das Gottesverhältnis, sondern damit zugleich auch das rechte Selbstverständnis, das wiederum die Basis für gelungene Verhältnisse zu anderen Menschen und anderen Lebewesen überhaupt bildet. Sünde desintegriert; der Glaube, als Nachvollzug des heilsamen Wirkens Gottes am Menschen und dessen unmittelbare Auswirkung, integriert, stellt personale Ganzheit her oder richtet auf diese als Bestimmung des Menschen aus und ermöglicht so ‘ganzheitliche’ Sozialverhältnisse. Im Gewissen wird dieser Zusammenhang dem Ich grundsätzlich, nämlich zumindest als ungefähres Bewusstsein von dem, was fehlt, bewusst. Mit dem Gewissen wiederum ist die Unterscheidung der Person von ihren Handlungen, reformatorisch: Werken, indiziert. Und damit zugleich die Unterscheidung von passiver Konstituierung der Person (aus Glaube) und aktiver Täterschaft (Handlungssubjektivität). Seit der Aufklärungszeit ist der (vermeintlich) pejorative, ‘pessimistische’ Tenor dieser theologischen Anthropologie unter Beschuss geraten, und die Theologie hat vielfältige Anstrengungen unternommen, um den positiven, heilsamen Sinn ihres Sündenverständnisses herauszuarbeiten und von autoritären und repressiven Funktionalisierungen freizuhalten. Zu Hilfe kam ihr dabei, dass zumindest zum Teil – nämlich im Hinblick auf die starke Stellung von Handlungssubjektivität und (im Gewissen selbstreferenzieller) personaler Ganzheitlichkeit – sich das so umrissene reformatorische Konzept theologischer Anthropologie an die klassische neuzeitliche Subjektphilosophie grundsätzlich als sehr anschlussfähig erwies. Darum konnte es – trotz seiner aus Aufklärungssicht pessimistischen Einfärbung – bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger stabil überdauern. Diese Persistenz wurde erst durch die radikale Religions- und Moralkritik Nietzsches und Freuds und davon zum Teil angeregte Theologie, wie etwa die dialektische Theologie, in Frage gestellt. Seither unternommene Versuche theologischer Rekonstruktion jener anthropologischen Konstellation haben aber in der Regel nicht zu einer Korrektur der Grundv |
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DOI: | 10.36199/978-3-374-06985-9 |