Reform der Regierungsbefragung im Bundestag

Die Geschäftsordnung des Bundestages sieht seit 1990 eine regelmäßige Befragung der Bundesregierung im Plenum des Parlaments vor. Seit längerem steht verfassungs- und demokratiepolitisch in der Kritik, dass die Befragung keine inhaltlich offenen, spontanen Debatten eröffnet. Sie wird in der Praxis k...

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Veröffentlicht in:Der Staat 2019-07, Vol.58 (3), p.325
1. Verfasser: von Achenbach, Jelena
Format: Artikel
Sprache:ger
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Beschreibung
Zusammenfassung:Die Geschäftsordnung des Bundestages sieht seit 1990 eine regelmäßige Befragung der Bundesregierung im Plenum des Parlaments vor. Seit längerem steht verfassungs- und demokratiepolitisch in der Kritik, dass die Befragung keine inhaltlich offenen, spontanen Debatten eröffnet. Sie wird in der Praxis kaum als Faktor wirksam, der die Willensbildung der Bundesregierung und des Bundestages tatsächlich bewegt. Anfang 2019 hat der Bundestag die Regierungsbefragung reformiert. Wie ist diese Reform zu werten? Mit Blick darauf entwickelt der Beitrag folgende Analyse und Argumentation: Auf der Grundlage des Zitierrechts aus Art. 43 Abs. 1 GG kann der Bundestag die Regierungsbefragung verfassungskonkretisierend durch interinstitutionell verpflichtendes Geschäftsordnungsrecht ausgestalten. Dem steht weder die Gewaltenteilung zwischen Bundestag und Bundesregierung noch die verfassungsrechtliche Funktion des Zitierrechts entgegen. Die Geschäftsordnungsautonomie stellt den Bundestag indes bei der Ausgestaltung der Regierungsbefragung nicht gänzlich frei. Denn die Grundsätze der Effektivität der parlamentarischen Regierungskontrolle, der effektiven Opposition und der Parlamentsöffentlichkeit entfalten dafür verfassungsrechtliche Maßgaben. Diese verfehlt die reformierte Regierungsbefragung. Die Reform regularisiert die Praxis, in der die Regierung weitgehend die Kontrolle über ihre Befragung innehat. Zwar verlängert sie die Befragung und etabliert eine Kanzlerbefragung. Aber in den entscheidenden Aspekten befördert die Reform eher die technokratische Seite des Regierens. Der Bundestag hat darauf verzichtet, sich der Regierung als unabhängiger Kontrollakteur gegenüber zu stellen, der seine Kontrollagenda selbst setzt und die Regierung frei befragt und konfrontiert. Dafür steht sinnbildlich, dass an der Befragung nur ein – von der Regierung längerfristiges benanntes – Regierungsmitglied teilnehmen muss. Alle übrigen dürfen sich, wie zuvor schon praktiziert, durch Parlamentarische Staatssekretäre vertreten lassen. Dies kritisiert der Beitrag. Dass die Regierungsbefragung im Bundestag effektive parlamentarische Kontrolle eher simuliert als realisiert, bedeutet nicht nur eine versäumte Chance der (Re-)Politisierung des Parlaments und des Regierens. Es bietet auch rechtspopulistischer Systemkritik einen Ansatz, die darauf zielt, die Legitimität des parlamentarischen Regierungssystems in erheblichen Teilen der Bevölkerung zu unterminieren.
ISSN:0038-884X
1865-5203
DOI:10.3790/staa.58.3.325