Haben Patientinnen die moralische Pflicht, ihre klinischen Daten für Forschung bereitzustellen? Eine kritische Prüfung möglicher Gründe

Zusammenfassung Die Sekundärnutzung klinischer Daten für Forschungs- und Lernaktivitäten hat das Potenzial, medizinisches Wissen und klinische Versorgung erheblich zu verbessern. Zur Realisierung dieses Potenzials bedarf es einer ethischen und rechtlichen Grundlage für die Datennutzung, vorzugsweise...

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Veröffentlicht in:Ethik in der Medizin 2022, Vol.34 (2), p.195-220
Hauptverfasser: Jungkunz, Martin, Köngeter, Anja, Mehlis, Katja, Spitz, Markus, Winkler, Eva C., Schickhardt, Christoph
Format: Artikel
Sprache:ger
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Online-Zugang:Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Zusammenfassung Die Sekundärnutzung klinischer Daten für Forschungs- und Lernaktivitäten hat das Potenzial, medizinisches Wissen und klinische Versorgung erheblich zu verbessern. Zur Realisierung dieses Potenzials bedarf es einer ethischen und rechtlichen Grundlage für die Datennutzung, vorzugsweise in Form der Einwilligung von Patient*innen. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage: Haben Patient*innen eine moralische Pflicht, ihre klinischen Daten für Forschungs- und Lernaktivitäten zur Verfügung zu stellen? Auf Basis eines ethischen Ansatzes, der als „sorgender Liberalismus“ bezeichnet werden kann, werden folgende Argumente zur Begründung einer Pflicht von Patient*innen zur Bereitstellung ihrer klinischen Daten für Forschungs- und Lernaktivitäten auf Plausibilität und moralisches Gewicht untersucht: die allgemeine Hilfspflicht; Solidarität; die Pflicht zu gemeinwohlförderlichem Handeln; das Trittbrettfahrerargument; transgenerationale Gerechtigkeit; das Prinzip des Zurückgebens; das Prinzip des Nicht-Schädigens; die Forschungsfreiheit und der Wert der Wissenschaft. Die allgemeine Hilfspflicht und die Pflicht zu gemeinwohlförderlichem Handeln sind gewichtige Gründe für eine moralische Pflicht von Patient*innen zur Bereitstellung ihrer klinischen Daten für Forschungs- und Lernaktivitäten. Das Argument der transgenerationalen Gerechtigkeit und das Prinzip des Zurückgebens sind ethisch schwache Gründe für eine solche Pflicht, können jedoch eine motivationale Rolle spielen. Die anderen Gründe sind nicht geeignet, eine Pflicht zu begründen. Das Ergebnis ist in mehrfacher Hinsicht relevant: für Patient*innen, die um die Einwilligung in die Sekundärnutzung ihrer klinischen Daten gebeten werden; für die ethische Diskussion der Frage, ob und inwieweit Abstriche von der klassischen spezifischen Einwilligung unter bestimmten Bedingungen ethisch akzeptabel sind; für die rechtwissenschaftliche Diskussion der Bedingungen für eine juristisch verhältnismäßige Sekundärnutzung klinischer Daten für Forschungs- und Lernaktivitäten.
ISSN:0935-7335
1437-1618
DOI:10.1007/s00481-022-00684-z