Die Karriere des Psychiaters Dietfried Müller-Hegemann (1910–1989): Beispiel eines politisch gewollten Auf- und Abstiegs in der DDR

Zusammenfassung Dietfried Müller-Hegemann gilt als eine der wesentlichen Figuren der Psychiatrie und Psychotherapie in der DDR der 1950er- und 1960er-Jahre. Als Vorkriegskommunist, NS-Widerstandskämpfer, in der Sowjetunion geschultes, engagiertes SED-Mitglied sowie Pawlowist erschien er dem DDR-Staa...

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Veröffentlicht in:Nervenarzt 2018, Vol.89 (1), p.78-87
1. Verfasser: Steinberg, H.
Format: Artikel
Sprache:ger
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Beschreibung
Zusammenfassung:Zusammenfassung Dietfried Müller-Hegemann gilt als eine der wesentlichen Figuren der Psychiatrie und Psychotherapie in der DDR der 1950er- und 1960er-Jahre. Als Vorkriegskommunist, NS-Widerstandskämpfer, in der Sowjetunion geschultes, engagiertes SED-Mitglied sowie Pawlowist erschien er dem DDR-Staats- und Parteiapparat als ein zuverlässiger Kader, den es in führende Positionen zu bringen galt. So konnte er vom Staatssekretariat für Hochschulwesen gegen wahrnehmbaren Widerstand der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig bis 1957 endlich als Direktor der Neurologisch-Psychiatrischen Klinik und ordentlicher Lehrstuhlinhaber inthronisiert werden. Doch schnell fiel er in Ungnade, da er parteiideologisch vom eng vorgegebenen Rahmen, etwa wie die Entstehung des Faschismus zu erklären sei, abwich. Auch lehnte er die ministeriell angeordnete Trennung von Neurologie und Psychiatrie in Klinik und Lehre ab. Eine von unteren Parteiebenen und Ministerien betriebene Absetzung scheiterte 1963 zwar, jedoch resignierte Müller-Hegemann zunehmend und wechselte auf das Direktorat der Ostberliner Griesinger-Klinik. Wieder in den Fokus der SED-Kritik geratend verließ er im Mai 1971 die DDR und ließ sich in Essen nieder. Die vorliegende Studie widmet sich nicht dem wissenschaftlich-ärztlichen Schaffen Müller-Hegemanns, sondern will auf Originalquellen basierend die staatlich gelenkte Karriere eines Psychiaters in der DDR sowie deren ideologisch motivierten Abbruch exemplifizieren. Dabei zeigt sich, dass das System weder Widerspruch in fachlichen noch in ideologischen Grundsatzfragen duldete, auch wenn dieser Nervenarzt Marxist war. Innerhalb der hierarchischen Strukturen verschmolzen politisch-ideologische Ursachenmomente auch kaum trennbar mit menschlichen Animositäten und Antrieben. Als Folge dieser Gemengelage ging Müller-Hegemann der Förderung seiner beruflichen Laufbahn verlustig. Scheinbar wurden auch sein privater und wissenschaftlicher Austausch kontrolliert sowie seine Publikationsmöglichkeiten eingeschränkt.
ISSN:0028-2804
1433-0407
DOI:10.1007/s00115-016-0270-2